Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
Bei dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) handelt es sich um die Umsetzung von EU-Richtlinien in deutsches Recht. Das AGG bezieht sich nicht nur auf das Arbeitsrecht, entfaltet hier jedoch eine enorme Reichweite. Denn das AGG soll potenzielle, aktuelle und ehemalige Mitarbeiter vor ungerechtfertigten Benachteiligungen schützen. Insbesondere dürfen Arbeitnehmer nicht wegen
- ihrer Rasse
- ihres Geschlechtes
- ihrer Religion
- einer Behinderung
- des Alters oder
- ihrer sexuellen Identität benachteiligt werden.
Das bedeutet im Klartext: Die eben genannten Aspekte dürfen in der Regel keinen Einfluss auf die Personalauswahl und bei der Beförderung von Mitarbeitern haben. Die Schutzpflichten des Arbeitgebers sind nach dem AGG sehr weitreichend. Rechtsfolgen bei einem Verstoß sind Schadensersatz- oder Entschädigungszahlungen.
● Der geschützte Personenkreis
Durch das Gesetz werden die Beschäftigten geschützt (§ 6 AGG).
Dies sind:
- Arbeitnehmer/innen
- Auszubildende
- Personen, die wegen ihrer wirtschaftlichen Unselbstständigkeit als arbeitnehmerähnliche
Personen anzusehen sind, einschließlich Heimarbeitern/innen und diesen Gleichgestellte
- Bewerber/innen für ein Beschäftigungsverhältnis
- Ehemalige Beschäftigte
- Selbständige und Organmitglieder, insbesondere Geschäftsführer/innen und Vorstände,
soweit es um den Zugang zur Erwerbstätigkeit und den beruflichen Aufstieg geht.
● Der Geltungsbereich
Das AGG gilt damit für alle Beschäftigten von der Einstellung über die Durchführung des Arbeitsverhältnisses, z.B. Vergütung oder Arbeitsbedingungen, bis zur Beendigung und darüber hinaus. Zwar gelten gemäß § 2 Abs. 4 AGG für Kündigungen ausschließlich die allgemeinen und besonderen Kündigungsschutzbestimmungen. Das Bundesarbeitsgericht hat jedoch klargestellt, dass damit kein vollständiger Ausschluss der Anwendung des AGG auf Kündigungen gemeint ist. Vielmehr sind die Diskriminierungsverbote des AGG, einschließlich der ebenfalls im AGG vorgesehenen Rechtfertigungen für unterschiedliche Behandlungen, bei der Auslegung des Kündigungsschutzgesetzes zu beachten.
Verstößt eine Kündigung gegen die Diskriminierungsverbote des AGG, kann dies zur Sozialwidrigkeit der Kündigung nach dem Kündigungsschutzgesetz führen.
Für Kündigungen außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass ordentliche Kündigungen während der sechs monatigen Wartezeit und in Kleinbetrieben unmittelbar am Maßstab des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes zu messen sind.
Nach § 2 Abs. 2 Satz 2 AGG gilt für die betriebliche Altersvorsorge das Betriebsrentengesetz. Nach einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts von Dezember 2007 gilt das AGG dennoch auch für die betriebliche Altersversorgung, soweit das Betriebsrentengesetz nicht vorrangige Sonderregelungen enthält.
● Merkmale der Benachteiligung
Beschäftigte dürfen nicht wegen einer der folgenden Gründe benachteiligt werden (§ 7 Abs. 1, § 1 AGG):
- Rasse oder ethnische Herkunft
- Geschlecht
- Religion oder Weltanschauung
- Behinderung
Gemäß § 2 Abs. 1 SGB IX liegt eine Behinderung vor, wenn die körperliche Funktion, die
geistige Fähigkeit oder die seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als
sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher
die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Der EuGH hat mit Urteil vom
11. Juli 2006 klargestellt, dass das Verbot der Diskriminierung wegen einer Behinderung
(im Sinne der zugrundeliegenden EU-Richtlinie) einer Kündigung wegen Krankheit nicht
entgegensteht Alter Erfasst wir jedes Lebensalter, also „junges“ und „altes“ Alter.
- Sexuelle Identität
Geschützt wird die sexuelle Orientierung sowie transsexuelle oder zwischengeschlechtliche
Menschen.
● Benachteiligung
Verbotene Verhaltensweisen, die nach § 3 AGG eine Benachteiligung darstellen:
- Unmittelbare Benachteiligung
Eine Person erfährt wegen eines Benachteiligungsmerkmals eine weniger günstige
Behandlung als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat
oder erfahren würde. Im Berufs- und Arbeitsleben gilt die ungünstigere Behandlung einer
Frau wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft als unmittelbare Benachteiligung wegen
des Geschlechts.
- Mittelbare Benachteiligung
Dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren können Personen, bei
denen ein Benachteiligungsmerkmal gegeben ist, gegenüber anderen Personen in besonderer
Weise benachteiligen. Eine mittelbare Benachteiligung liegt aber nicht vor, wenn die
betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich
gerechtfertigt und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind.
- Belästigung
Wesentlich ist das Bezwecken oder Bewirken der Verletzung der Würde durch
unerwünschte Verhaltensweisen, die mit einem Benachteiligungsmerkmal in
Zusammenhang stehen, und das Schaffen eines von Einschüchterungen, Anfeindungen,
Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichneten Umfeldes. Da die
unerwünschte Verhaltensweise geeignet sein muss, die Würde der betreffenden Person zu
verletzen, scheiden geringfügige Eingriffe aus.
- Sexuelle Belästigung
Das unerwünschte Verhalten muss zusätzlich sexuell bestimmt sein, z.B. Bemerkungen
sexuellen Inhalts oder unerwünschtes Zeigen von pornographischen Darstellungen.
- Anweisung zur Benachteiligung
● Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen
Unter gewissen Voraussetzungen sind Ungleichbehandlungen gerechtfertigt.
- Zulässige unterschiedliche Behandlung wegen beruflicher Anforderung (§ 8 AGG)
Eine unterschiedliche Behandlung wegen eines sog. Benachteiligungsmerkmales ist z.B. zulässig, wenn dieses Merkmal wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist. Beispiele: Der Ausschluss eines männlichen Bewerbers für eine Tätigkeit in einem Mädcheninternat, die auch mit Nachtdiensten verbunden ist, hat das Bundesarbeitsgericht 2009 als zulässig angesehen. 2010 hat das Bundesarbeitsgericht geurteilt, dass ein männlicher Bewerber, der aufgrund seines Geschlechts nicht in die Bewerberauswahl für die zu besetzende Stelle einer kommunalen Gleichstellungsbeauftragten einbezogen wurde, nicht unzulässig wegen seines Geschlechts benachteiligt wird, wenn zur Erbringung eines Teils der Tätigkeiten (z.B. Integrationsarbeit mit zugewanderten muslimischen Frauen) das weibliche Geschlecht unverzichtbare Voraussetzung ist.
- Zulässige unterschiedliche Behandlung wegen der Religion oder Weltanschauung
(§ 9 AGG)
Religionsgemeinschaften dürfen z.B. hinsichtlich der Religion oder Weltanschauung differenzieren, wenn diese nach der Art der Tätigkeit eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt.
Beispiel:
Der Austritt eines Mitarbeiters einer von einem katholischen Caritasverband getragenen Kinderbetreuungsstätte aus der katholischen Kirche kann die Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen. Dagegen wäre bei einer Reinigungskraft eine Differenzierung nach der Religion wahrscheinlich nicht gerechtfertigt.
- Zulässige unterschiedliche Behandlung wegen des Alters (§ 10 AGG)
Eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters ist auch zulässig, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Die Mittel zur Erreichung dieses Ziels müssen angemessen und erforderlich sein.
Die Vorschrift enthält einen ausführlichen Beispielskatalog, der aber nicht abschließend ist.
So ist etwa die Festsetzung eines Höchstalters für die Einstellung auf Grund spezifischer Ausbildungsanforderungen eines bestimmten Arbeitsplatzes erlaubt (Nr. 3).
Ebenso ist die Festsetzung von Altersgrenzen bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit als Voraussetzung für den Bezug von Altersrente gerechtfertigt (Nr. 4).
Insbesondere hinsichtlich Altersgrenzen gibt es umfassende Rechtsprechung, die sich aber nicht vereinheitlichen lässt. Es ist daher in jedem Einzelfall zu untersuchen, aus welchem Grund eine Altersgrenze besteht und ob sie im konkreten Fall gerechtfertigt ist.
● Rechtsfolgen einer Diskriminierung
- Diskriminierende Bestimmungen in Vereinbarungen sind unwirksam (§ 7 Abs. 2 AGG)
- Beschwerderecht (§ 13 Abs. 1 AGG) und Maßregelungsverbot (§ 16 AGG)
Benachteiligte können sich bei der zuständigen Stelle des Betriebes beschweren. Der Arbeitgeber darf Beschäftigte nicht wegen der Inanspruchnahme von Rechten nach dem AGG benachteiligen.
- Schadensersatz und Entschädigung (§ 15 AGG)
-- Schadenersatz (§ 15 Abs. 1 AGG)
Es besteht Anspruch auf Ersatz des entstandenen Schadens, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzung zu vertreten hat.
Vertreten müssen ist gegeben bei:
• Eigenem Verschulden, d.h. bei Vorsatz und Fahrlässigkeit (§ 276 BGB);
• Verschulden der Organmitglieder, z.B. des Geschäftsführers (§ 31 BGB);
• Verschulden von Erfüllungsgehilfen, z.B. Vorgesetzte (§ 278 BGB).
-- Entschädigung (§ 15 Abs. 2 AGG)
Daneben besteht Anspruch auf eine verschuldensunabhängige Entschädigung, d.h. Ausgleich des immateriellen Schadens, ähnlich dem Schmerzensgeld. Ausgeglichen wird die Verletzung der Würde. Die Entschädigungshöhe muss „angemessen“ sein. Bei Nichteinstellung ist sie auf höchstens drei Monatsgehälter begrenzt, wenn die Einstellung auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht erfolgt wäre.
Gemäß § 15 Abs. 3 AGG ist der Arbeitgeber bei der Anwendung kollektivrechtlicher Vereinbarungen nur dann zur Entschädigung verpflichtet, wenn er vorsätzlich oder fahrlässig handelt. Der Gesetzeswortlaut bezieht sich nur auf die Entschädigung. Zu den kollektivrechtlichen Vereinbarungen gehören auch Betriebs- bzw. Dienstvereinbarungen, die unmittelbare Bindungswirkung entfalten. Auch bei der Bezugnahme auf Tarifverträge sowie bei für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen greift § 15 Abs. 3 AGG ein.
-- Frist zur Geltungsmachung (§ 15 Abs. 4 AGG)
Schadensersatz und Entschädigung müssen binnen zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden (§ 15 Abs. 4 AGG), es sei denn die Tarifvertragsparteien haben etwas anderes vereinbart. Die Frist beginnt bei einer Bewerbung oder Beförderung mit dem Zugang der Ablehnung, ansonsten mit der Kenntniserlangung von der Benachteiligung.
Die Klagefrist für die Geltendmachung der Entschädigung (umstritten, ob hier auch der Schadensersatz erfasst ist) beträgt drei Monate nach schriftlicher Geltendmachung (§ 61 b Abs. 1 Arbeitsgerichtsgesetz - ArbGG).
● Leistungsverweigerungsrecht (§ 14 AGG)
Bei einer Belästigung oder sexuellen Belästigung ist der/die betroffene Beschäftigte berechtigt, die Tätigkeit einzustellen, wenn der Arbeitgeber keine oder offensichtlich ungeeignete Maßnahmen zur Unterbindung ergreift.
● Beweislast (§ 22AGG)
Die Benachteiligten müssen zunächst den Vollbeweis führen, dass sie gegenüber einer anderen Person ungünstig behandelt worden sind, z.B. Einstellung oder Beförderung einer anderen Person. Weiter müssen sie Indizien beweisen, die eine Benachteiligung wegen eines Benachteiligungsgrundes vermuten lassen. Erklärungen „ins Blaue hinein“ oder einfache Behauptungen genügen somit nicht. Der Arbeitgeber muss dann den Vollbeweis dafür erbringen, dass kein Verstoß vorliegt, d.h. dass nicht diskriminierende Gründe für die Entscheidung maßgeblich waren oder dass eine unterschiedliche Behandlung gerechtfertigt war.
● Sonstiges
- In Betrieben, die unter das Betriebsverfassungsgesetz fallen, kann der Betriebsrat oder eine
im Betrieb vertretene Gewerkschaft bei einem groben Verstoß auf Unterlassung, Duldung
oder Vornahme einer Handlung klagen (§ 17 Abs. 2 AGG). Nicht geltend gemacht werden
können dagegen individuelle Ansprüche der Benachteiligten, z.B. Schadensersatz oder
Entschädigung.
- Antidiskriminierungsverbände können Benachteiligte unterstützen durch Beratung oder
Auftreten als Beistand in Verfahren ohne Anwaltszwang (§ 23 AGG).
- Benachteiligte können sich an die Antidiskriminierungsstelle bei dem Bundesministerium
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend wenden, die informiert, auf eine gütliche
Beilegung hinwirkt oder Beratung durch andere Stellen vermittelt (§ 27 AGG).
● Organisationspflichten des Arbeitgebers
- Einrichtung einer Beschwerdestelle im Betrieb (§ 13 AGG),
- Bekanntmachung des AGG, des § 61 b ArbGG sowie von Informationen über die
Beschwerdestelle (§ 12 Abs. 5 AGG) durch Aushang, Auslegen oder durch den Einsatz der
im Betrieb üblichen Kommunikationstechnik, z.B. Intranet,
- Arbeitgeber sind verpflichtet, erforderliche, auch vorbeugende Maßnahmen zum Schutz vor
Benachteiligungen zu ergreifen (§ 12 Abs. 1 AGG). Werden die Beschäftigten in geeigneter
Weise geschult, gilt dies als Erfüllung dieser Pflicht (§ 12 Abs. 2 Satz 2 AGG).
Arbeitgeber sollen in geeigneter Art und Weise auf die Unzulässigkeit von
Benachteiligungen hinweisen und darauf hinwirken, dass diese unterbleiben (§ 12 Abs. 2
AGG). Bei Benachteiligungen durch andere Beschäftigte oder Dritte müssen die im
Einzelfall geeigneten, erforderlichen und angemessenen Maßnahmen ergriffen werden (§ 12
Abs. 3 und 4 AGG), z.B. Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung.
- Arbeitsplätze dürfen nicht unter Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot ausgeschrieben
werden (§ 11 AGG).